Warum ich fünf Jahre ohne Geld lebte
[ English Version ]
Glaubst Du, alles in der Welt ist perfekt oder würdest Du gerne etwas ändern?
Ich glaube, jedeR würde gerne etwas verändern – oft wissen wir nur nicht, wo wir anfangen sollen. Aber wir wissen, dass, wenn alle Menschen auf der Erde einen europäischen Lebensstil annehmen würden, wir mindestens drei weitere Planeten bräuchten.
Schon vor meinem Geldstreik stellte ich fest, dass wir Menschen uns oft nicht bewusst sind über die Konsequenzen unseres Handelns und die Auswirkungen unseres Konsumverhaltens auf die Erde, die Tiere und unsere Mitmenschen. Aber ich glaube, dass jeder Mensch ein gutes Herz hat und wir uns alle eine Welt in Frieden und ohne Leid und Hunger wünschen.
Reise ohne Geld von Holland nach Mexiko
Diese wunderschöne Erkenntnis habe ich gewonnen, als ich aus meiner Komfortzone getreten bin. Es war 2010, als ich aufbrach, ohne Geld von Holland nach Mexiko zu trampen. Zusammen mit zwei wunderbaren Freunden ging es durch Europa und Marokko auf die Kanarischen Inseln, wo uns ein Segelboot bis nach Brasilien mitnahm.
Was als Reiseexperiment begann, stellte mein Leben auf den Kopf! In der Mitte des Atlantischen Ozeans entschloss ich mich, auch nach der Reise geldfrei zu leben. Meine Frau Nieves schloss sich uns in Guyana an, und nach elf Monaten erreichten wir Mexiko.
Dort wurde ich Zeuge der alljährlichen wichtigsten UN-Klimakonferenz, die COP16 die in jenem Jahr in Cancún tagte. Ich realisierte, dass wir den Wandel leben müssen, den wir in der Welt sehen möchten und wir keine Zeit haben, auf andere oder die Politik zu warten, um die Welt zu verändern.
Das Loslassen von konditioniertem Verhalten
Einen Monat zuvor habe ich mich meiner Vision genähert, andere Lebewesen so zu behandeln, wie ich auch behandelt werden möchte, und ernährte mich fortan vegan. Ich stellte fest, dass die Tierindustrie die zerstörerischste Industrie der Welt ist und 51 Prozent aller vom Menschen verursachten Treibhausgase verursacht. Ich realisierte außerdem, dass wir Menschen unseren Planeten in den letzten 50 Jahren mehr verändert haben, als alle Generationen vor uns zusammen. Die Tierindustrie ist die Hauptursache für Waldzerstörung, Meeres- und Wasserverschmutzung und trägt die Verantwortung für das größte Artensterben in 65 Millionen Jahren.
Ich fand heraus, dass, obwohl wir jedes Jahr über 60 Milliarden Tiere füttern und töten, Jahr für Jahr Millionen Kinder an Unterernährung sterben und ein Achtel der Weltbevölkerung hungrig zu Bett geht, obwohl die weltweit angebauten Lebensmittel mehr als doppelt so viele Menschen ernähren könnten, als derzeit auf der Erde leben. Bedauerlicherweise werden aber mehr als 70 Prozent der globalen Landwirtschaftsfläche von der Tierindustrie genutzt.
Ich fühlte, es ist zu spät, um Pessimist zu sein und entschloss mich dazu, mich für den Planeten, die Tiere und unsere Mitmenschen einzusetzen und den Wandel hin zu einer friedlichen und nachhaltigen Welt durch mein eigenes Handeln voranzutreiben.
Beginn meines Geldstreiks in Berlin
Nach 15 Monaten, 500 Fahrzeugen und über 24.000 km per Anhalter waren wir nach Europa zurückgekehrt, weil wir ein Kind erwarteten, das größte Geschenk des Lebens!
In Berlin begann ich meinen Geldstreik, und wir fanden eine ungenutzte Souterrain-Wohnung, in die wir einziehen durften. Nach Jahren des Tonnentauchens, also dem Retten von bereits weggeschmissen Lebensmitteln, spürte ich, dass es Zeit war, auf andere, legale und koordinierte Art und Weise mich gegen die Lebensmittelverschwendung einzusetzen.
Weltweit landen über ein Drittel aller produzierten Lebensmittel im Müll und genau das wollten wir ändern, indem wir das Bewusstseins für die Thematik erhöhen und Möglichkeiten aufweisen wie die Lebensmittelverschwendung reduziert werden kann. Wir wollten zeigen, wie einfach es ist, den persönlichen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren und damit andere Menschen inspirieren.
Der Beginn der Lebensmittel-Bewegung
Im März 2012 durften wir damit anfangen, bei einer großen Bio-Supermarktkette Lebensmittel, die ausrangiert wurden, aber noch genießbar waren, legal zu retten. Es war der Beginn der Lebensmittelretten-Bewegung.
Obwohl Ich 60 Stunden pro Woche beschäftigt war, um alles zu organisieren, um mehr Menschen das Retten von Lebensmitteln zu ermöglichen, spürte ich schnell, dass ich mit Google Maps und Excel Tabellen an meine Grenze stieß.
Dank des Geldstreikes bekam ich sehr viel mediale Aufmerksamkeit, was der Lebensmittelretten Bewegung und foodsharing, einer Plattform, auf der Privatpersonen überschüssige Lebensmittel teilen können, weitläufig bekannt machte. Neben dem Medieninteresse durfte ich auch an Konferenzen teilnehmen und Vorträge halten. Dabei begegnete ich Raphael Wintrich, einem Genie und talentierten Programmierer. Von Anfang an fühlten wir uns sehr verbunden und träumten gemeinsam von einer Welt, in der Geld keine Rolle spielt und alle Menschen ihre Fähigkeiten bedingungslos einbringen und teilen. Kurz darauf saßen wir beide am gleichen Schreibtisch, und während ich mein Buch “Glücklich ohne Geld!” schrieb, programmierte Raphael leidenschaft die effiziente Plattform, das Werkzeug, das der Lebensmittelretten Bewegung Flügel verlieh. Zusätzlich baute Raphael noch das Essenteilen von foodsharing ein, und wir fusionierten alles unter dem Namen foodsharing.
Knapp vier Jahre später hat foodsharing über 110.000 NutzerInnen, 14.000 sogenannte “Foodsaver”, die regelmäßig bei über 2.300 Kooperationsbetrieben wie Supermärkten, Bäckereien, Restaurants usw. Lebensmittel retten und verteilen. 350 foodsharing BotschafterInnen haben über 250.000 Abholungen ermöglicht und gigantische 3,5 Millionen Kilo Lebensmittel gerettet! All das ist nur möglich dank 600.000 Stunden ehrenamtlichen Engagements von einer immer größer werdenden Gruppe von Menschen, die sich mit ihrer Zeit, ihren Fähigkeiten und ihrer Energie unentgeltlich für Wertschätzung und Nutzung von vorhandenen Ressourcen einsetzen.
Ende meines Geldstreiks
Während foodsharing ständig weiter wuchs, bekamen wir unser zweites Kind. Unsere Gastgeberfamilie zog in ein kleineres Eigenheim, und wir machten uns für viele Monate auf die Suche nach einem passenden und dauerhaften Ort zum Wohnen für uns als Familie. Die Suche blieb allerdings erfolglos, und nach fünfeinhalb Jahren habe ich meinen Geldstreik beendet und angefangen, wieder Geld zu akzeptieren.
Was ich am meisten von dieser sehr lehrreichen und inspirierenden Zeit mitgenommen habe, ist, bescheiden und dankbar zu sein für Familie, Freunde, in Frieden leben zu können und für das Privileg, das tun zu dürfen, was ich liebe und wofür mein Herz schlägt, als ob Geld keine Rolle spielt. Diese besondere Erfahrung des bedingungslosen Gebens und Empfangens, des des von Erwartungen losgelösten Schenkens, wollte ich mehr Menschen ermöglichen.
Ich wollte zeigen, dass wir alle den Wandel leben können, den wir auf der Welt sehen möchten, insbesondere wie dies mit bewusstem Konsum möglich ist, beispielsweise mit lokalen, pflanzlichen Bio-Lebensmitteln, Reisen per Zug, Second-Hand Kleidern und der Maxime “Weniger ist Mehr”, also dem Kauf nur von Dingen, die wir wirklich benötigen.
Viele Menschen glauben, dass wir die Welt nicht verändern können, aber die Wahrheit ist, wenn wir uns ändern, verändern wir die Welt!
yunity Plattform des Rettens- und Teilens
Nach Jahren des Träumens von einer Plattform die das bedingungslose Miteinanders erleichtert habe ich vor fünf Monaten zusammen mit einem internationalen Team das Fundament für yunity gelegt; einer werbefreien, nicht-kommerziellen Open Source Plattform des Rettens und Teilens. yunity wird Menschen helfen, ihre Vision von einer besseren Welt in die Tat umzusetzen.
Wir werden nicht nur die bahnbrechenden Werkzeuge und das Wissen der Lebensmittelretten-Community teilen, um die foodsharing-Erfolgsgeschichte global zu machen, sondern das Retten und Teilen auf alle vorhandenen Ressourcen ausweiten, die von Firmen, Organisationen oder Personen nicht genutzt oder weggeschmissen werden.
yunity wird vorhandene Sharing-Ideen und Communities in einer einzigartigen Plattform vereinen und neue Interessensgemeinschaften entstehen lassen, damit den Menschen der Einstieg und das Verbinden mit den unendlich vielen Graswurzelbewegungen und Initiativen des Wandels erleichtert wird. Außerdem wird es möglich sein, öffentliche Fruchtbäume, Bücherkisten, Fair-Teiler, WLAN usw. zu kartographieren bzw. kostenfreie Aktivitäten wie Yogaunterricht oder Sprachentandem anzubieten und die eigene Couch, den Garten oder das Fahrrad zu teilen.
Dabei suchen wir weiterhin nach leidenschaftlichen ProgrammiererInnen, DesignerInnen und anderen, die mit ihren Fähigkeiten zu yunity beitragen wollen.
Das innere Licht in den Menschen
Ich glaube, dass jeder Mensch ein inneres Licht hat und so wie wir Liebe, Freude und Glück teilen, können wir tausend andere Kerzen anstecken, ohne selbst weniger zu leuchten, sondern nur noch mehr Licht um uns herum schaffen!
Höre auf Dein Herz, lass Dein inneres Licht leuchten und lebe den Wandel, den Du in der Welt sehen möchtest!