Ende des Geldstreiks
[ English Version ]
Seit Anfang 2010 habe ich im Geldstreik gelebt und zusammen mit meiner wunderbaren Frau Nieves und unseren zwei Kindern im Konsumstreik.
Unser Anliegen ist es, auf Alternativen zur Verschwendung und ständigen Konsum hinzuweisen. Wir möchten Bewusstsein für die Zusammenhänge unserer Konsumgesellschaft und der Umweltzerstörung, Ungerechtigkeit und Hunger schaffen sowie für die Verantwortung, die wir alle für unseren Planeten und unsere Mitmenschen haben. Wir möchten Menschen mit unserer Lebensweise ermutigen, den Wandel zu leben den sie in der Welt sehen möchten und zeigen, wie es möglich ist vorhandenes Wissen und Ressourcen besser und gemeinsam zu nutzen.
Eines unserer Hauptanliegen galt immer der Lebensmittelverschwendung. Dafür gründete ich im Jahr 2012 das LebensmittelretterInnen Netzwerk und setze mich seitdem in tausenden Stunden dafür ein, foodsharing zu einer der am schnellsten wachsenden sozialen und weitestgehend geldfreien Bewegungen im deutschsprachigen Raum werden zu lassen. Dank des bedingungslosen Einsatzes von 500.000 Stunden ehrenamtlichen Engagements, von dutzenden HauptorganisatorInnen und über 11.000 Foodsavern, konnten bei 1.900 Betrieben und 200.000 Abholungen bereits 2,7 Millionen Kilogramm unverkäufliche Lebensmittel retten und verteilen.
In meinen fünfeinhalb Jahren Geldstreik habe ich sowohl bei meinen Aktivitäten, Vorträgen, Fernsehauftritten als auch für mein Buch auf Honorare verzichtet und kein Geld angenommen bzw. ausgegeben. Seit Anfang des Jahres hatten wir keine leichte Zeit, denn wir haben keine feste Bleibe für uns gefunden und hüteten so verschiedene Wohnungen, kamen bei Verwandten unter und besuchten während der Vortragsreisen mögliche Orte für das Ökodorf Eotopia.
Nachdem wir in Italien, Frankreich und Spanien nicht fündig wurden, die Situation Ungewissheit und Stress für uns als Familie bedeutete, habe ich mich entschlossen den Geldstreik zu beenden und wieder Geld zu benutzen wo es nötig ist, um endlich Ruhe bei uns einkehren zu lassen. Zusammen mit der lieben Familie Hughes, die Kinder im gleichen Alter wie wir haben, werden wir ab Anfang nächsten Jahres ein Hausprojekt in der Nähe von Stuttgart starten. Bis dahin werden wir bei ihnen in der Nähe wohnen.
Wir wollten immer Aufmerksamkeit auf die Zerstörung unseres Planeten lenken und auf die Lösungen, die heute schon gelebt werden können. Dieses möchten wir als Familie auch weiterhin tun auch wenn ich jetzt Gelder, die mir angeboten werden, annehmen werde, damit wir uns weiterhin bedingungslos für den Wandel einsetzen können.
Lange habe ich über die Entscheidung, den Geldstreik zu beenden, nachgedacht. Ausschlaggebend war zunächst die erfolglose Wohnraumsuche und die daraus resultierenden turbulenten Monate für uns als Familie.
Im Laufe der Monate und des Reflektierens habe ich mich jedoch immer mehr öffnen können und mich von dem Dogma, mit Geld nichts zu tun haben zu wollen, gelöst und bin mittlerweile dankbar für die von außen stimulierte Öffnung, Geld perse nicht mehr zu verdammen. Ich bin mittlerweile sogar richtig neugierig mich wieder mit Geld zu beschäftigen, zu spüren wie es allen Menschen geht die tagtäglich mit Geld handtieren und meinen Horizont nach mehr als fünf Jahren zu erweitern.
Wie auch bei den Lebensmitteln, ging es uns beim Geld- bzw. Konsumstreik nicht nur darum, dass wir unverkäufliche und von der Gesellschaft nicht mehr wertgeschätze Güter vor der Verschwendung bewahren, sondern dass es zu einem allgemeinen Umdenken kommt. Alleine können wir nicht viel bewegen, aber wenn viele Menschen Veränderungen leben, entsteht etwas Neues.
Als ich anfangs noch 3-4 mal die Woche unterwegs war, um bei verschiedenen Bioläden illegal aus den Containern Lebensmittel zu klauen (ja es ist tatsächlich Diebstahl), aßen wir beinahe 100% gerettete Lebensmittel. Seitdem ich angefangen habe, Lebensmittel legal in Kooperation bei der Bio Company zu retten, gab es für uns als Familie nicht mehr so viel Vielfalt, und so aßen wir dann nur noch 80-90% gerettete Lebensmittel. Zum einen, weil es uns wichtig war, dass die Mitarbeitenden das Recht bekommen sollten, abgeschriebene, also unverkäufliche Waren selbst mitnehmen zu dürfen. Mehr aber noch, weil Ich meine Zeit jetzt nicht mehr nur unserer eigenen Lebensmittelbeschaffung widmete, sondern mich mit all meiner Kraft dafür einsetzte, anderen Menschen das Lebensmittelretten zu ermöglichen. Immer mehr Menschen konnten so damit beginnen, in dem von mir gegründeteten LebensmittelretterInnen Netzwerk mitzuwirken, zu retten und zu teilen. Mittlerweile werden so rund 1.000 Abholungen und um die 10.000 kg Lebensmittel täglich gerettet, was viel bedeutender ist, als dass wir als Familie ausschließlich gerettete Lebensmittel konsumieren.
Nach über fünf Jahren Geldstreik möchte ich jetzt genauso wie bei den Lebensmitteln meinen Fokus nicht mehr nur auf den nachhaltigen Lebensstil von uns als Familie konzentrieren, sondern vielen Menschen ermöglichen, Vorhandenes besser zu nutzen und so einen generellen gesellschaftlichen Wandel in Gang zu bringen. Deswegen möchten wir jetzt all unser gewonnenes Know-How und unsere Erfahrungen nutzen, um gemeinsam mit vielen anderen engagierten Menschen die kosten- und werbefreie Open Source Plattform yunity auf die Beine zu stellen, die das Retten und Teilen weltweit ermöglicht. Wir suchen weiterhin nach fähigen EntwicklerInnen, ProgrammierInnen, DesignerInnen, ÜbersetzerInnen und anderen, die sich mit ihren Fähigkeiten einbringen wollen. Erfahre hier in meinem Blogpost mehr über yunity, das Team sowie die Bereiche, wo noch Unterstützung gebraucht wird. Wir freuen uns über Dein Engagement und Weiterleitung an Interessierte!
An dieser Stelle möchten wir allen Menschen danken, die den Geldstreik ermöglicht haben und an uns glauben! Ohne die bedingungslose Unterstützung, die wir als Familie erfahren durften, wäre es nicht möglich gewesen, Millionen Menschen zu erreichen, zu inspirieren, wachzurütteln und neue Wege aufzuweisen! Ganz besonders gilt meine tiefe Dankbarkeit und Hochachtung meiner Frau Nieves, die mich über all die Jahre sowohl in guten als auch in schwierigen Zeiten immer begleitet und mir den Rücken gestärkt hat. Ohne ihr Sein und Wirken wäre es mir nicht möglich gewesen den Geldstreik in dieser Form zu leben.
Ich lebe weiter für die Vision einer geldfreien Welt, in der sich alle Menschen nach ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten einbringen, sich gegenseitig helfen, unterstützen und in der Geld keine Rolle mehr spielt.
Hast Du Fragen? Ich habe das Gefühl, dass es wichtig ist, ausführlich, offen und ehrlich über diesen Schritt zu berichten. Trotz der vielen Worte werden einige von Euch noch offene Fragen haben. Deswegen biete ich allen an, mir Fragen per Mail zu schreiben, die interessantesten Fragen werde ich dann in einem Video auf meinem Youtube Kanal beantworten.
Herzlichen Dank Dir für Dein Interesse und schön, dass es Dich gibt!
Alles Liebe Dein Raphael